Eine «Klatsche für die inter* Community»

Mitte Dezem­ber hat­te die SP-Nation­al­rätin Rebec­ca Ana Ruiz unter dem Titel «Inter­sex­uelle Per­so­n­en. Kinder­schutz, Sta­tis­tiken und Infor­ma­tio­nen für das medi­zinis­che Per­son­al und die Eltern» eine Inter­pel­la­tion ein­gere­icht. Vor ein paar Tagen hat der Bun­desrat nun darauf geant­wortet — und damit inter* Men­schen heftig vor den Kopf gestossen.

Unteran­derem wollte Rebec­ca Ruiz mit ihrer Inter­pel­la­tion in Erfahrung brin­gen, wie der Bun­desrat gedenke, die Empfehlun­gen der Nationalen Ethikkom­mis­sion im Bere­ich der Human­medi­zin die sie in ihrem Bericht «Zum Umgang mit Vari­anten der Geschlecht­sen­twick­lung» abgegeben hat, umzuset­zen? Falls ja, wie und bis wann?

In seinem Blog INTER*AKTIV auf QueerUp beze­ich­net Urs Sager die bun­desrätliche Stel­lung­nahme als «ganz schlechter Witz» und als «Klatsche für die inter* Com­mu­ni­ty». In sein­er Antwort beziehe sich der Bun­desrat auf dessen Stel­lung­nahme vom Juli 2016 zum Bericht der Nationalen Ethikkom­mis­sion:

Mass­nah­men sind gross­mehrheitlich umge­set­zt oder in Umset­zung.

Obschon der Bun­desrat — wie Urs Sager weit­er schreibt — seine Infor­ma­tion vom Juli 2016 beziehe, sei von den dama­li­gen Aus­sagen «prak­tisch nix mehr geblieben». Im Bericht stand damals:

In der Ver­gan­gen­heit wur­den indes viele Kinder mit unein­deuti­gen Geschlechtsmerk­malen auch ohne medi­zinis­che Notwendigkeit rasch nach der Geburt operiert, um ihnen ein Geschlecht zuzuweisen. Diese Ein­griffe haben in vie­len Fällen erhe­bliche Folgeschä­den und schw­eres Leid bei den Betrof­fe­nen verur­sacht; zudem gescha­hen sie teils ohne das Ein­ver­ständ­nis oder gar das Wis­sen der Eltern. … Aus heutiger Sicht ver­stossen solche frühen, ver­mei­d­baren Ein­griffe gegen das gel­tende Recht auf kör­per­liche Unversehrtheit.

Urs Sager zieht aus der Antwort des Bun­desrates auf die Anfrage von Nation­al­rätin Ruiz fol­gen­des Faz­it:

Ein erbärm­lich­er Ver­such sich mit der Prob­lematik Inter­sex­u­al­ität zu befassen, zu wenig reales Inter­esse etwas zu ändern. Inter­sex­u­al­ität ist nicht nur physisch sicht­bar, dreht sich nicht nur um Oper­a­tio­nen an Kindern (auch wenn das eins der wichtig­sten Anliegen der Com­mu­ni­ty ist). Es geht um beste­hende Rechte die nicht umge­set­zt wer­den, es geht um Rechte die nicht gewährt wer­den, es geht um Men­schen die sich ignori­ert fühlen.

Das könne die inter* Com­mu­ni­ty «nicht auf uns sitzen lassen». Urs Sager ver­langt daher klar die Selb­st­bes­tim­mung über den eige­nen Kör­p­er und vor allem auch die Unter­stützung der Com­mu­ni­ty und der Betrof­fe­nen. Wed­er Geset­ze noch Verord­nun­gen, wed­er Ärzte oder Behör­den, dür­fen sich über das Recht der Selb­st­bes­tim­mung über den eige­nen Kör­p­er hin­wegset­zen.

Wie weiter?

Die Inter­pel­la­tion wird nun noch der Nation­al­rat beant­worten müssen. Ist Nation­al­rätin Rebec­ca Ana Ruiz mit der Antwort zufrieden, ist die «Angele­gen­heit» erledigt, ist sie nicht zufrieden, kann sie die Forderun­gen als Pos­tu­lat ein­brin­gen.

Auf Bun­de­sebene sind Inter­pel­la­tio­nen ein Werkzeug zur Kon­trolle des Bun­desrates. Sie kön­nen von jedem Mit­glied eines der bei­den Räte (Nation­al- und Stän­der­at) ein­gere­icht wer­den. Der Inter­pel­lant ver­langt vom Bun­desrat schriftlich Auskun­ft über irgen­deine Angele­gen­heit der Poli­tik oder der Bun­desver­wal­tung. Ein Pos­tu­lat ist ein par­la­men­tarisch­er Vorstoss auf gemeinde‑, kan­tonaler oder eid­genös­sis­ch­er Ebene, der von der jew­eili­gen Exeku­tive ver­langt, zu prüfen, ob es in einem bes­timmten Fall ein Gesetz, einen Beschluss oder eine Mass­nahme braucht.

Faktencheck

Inter­sex­u­al­ität ist wed­er eine Mod­eer­schei­n­ung noch wegdisku­tier­bar, schon gar keine Krankheit und auch nicht wegoperier­bar. Sie hat Vari­anten die physisch auf den ersten Blick unsicht­bar sind, was die Prob­leme der betrof­fe­nen Per­so­n­en aber in kein­ster Weise min­dert. Der Anteil an der Bevölkerung kann nur geschätzt wer­den, denn Sta­tis­tiken fehlen.

Solange wir in einem binären Geschlechtssys­tem (Mann/Frau) leben und nach der Geburt inner­halb von 72 Stun­den ein Geschlecht einge­tra­gen wer­den muss — und keine Grund­la­gen geschaf­fen wer­den, dies zu ändern, wer­den oper­a­tive Anpas­sun­gen gemacht.